E-Reading oder klassisches Buch – was macht smarter?

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Es kann manchmal ganz schön schwierig sein, eine Zeitung im Zug zu lesen. Vor allem dann, wenn wir den Sitznachbarn nicht stören wollen. Einige Zeitungsformate sind einfach nicht dafür gemacht, sie unterwegs zu lesen. Sie sind schlichtweg zu unhandlich. Dann lieber den heimischen Schreibtisch, sofern er groß genug ist, dafür reservieren – oder vielleicht noch besser: E-Reading.

Egal ob Zeitung, Magazin oder ein ganzes Buch; mit moderner Technik Vertraute greifen in diesen Fällen gern zum Smartphone oder dem Tablet. Mit dieser handlichen Größe lassen sich selbst die großformatigsten Zeitungen bequem lesen. Es ist somit kein Wunder, dass stetig mehr Menschen auf Displays anstatt bedrucktem Papier lesen. E-Reading liegt nicht nur im Trend, es ist allgegenwärtig.

Insbesondere Buchliebhaber legen aber wenig Wert auf eine elektronische Büchersammlung. Außerdem lese es sich ja viel schöner, wenn das Buch in der Hand liegt und die Seiten einzeln umgeblättert werden. Verschiedene Studien legen nahe, dass eben diese physische Materialität eines echten Buches dazu beiträgt, sich mehr vom Lesestoff merken zu können. Haben wir im Endeffekt also mehr davon, wenn wir anstatt zum Tablet doch wieder zum dicken Wälzer greifen?

Leseverständnis leidet beim E-Reading
Photo by Yura Fresh on Unsplash
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Eine Studie, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, wurde bereits 2013 im International Journal of Educational Research veröffentlicht. Während Forscher sich also bereits seit einigen Jahren damit auseinandersetzen, scheint das öffentliche Bewusstsein dafür immer noch recht gering zu sein. Dabei sind die Ergebnisse der Untersuchung, die von norwegischen Forschern durchgeführt wurden, äußerst aufschlussreich – und vor allem eindeutig.

Sie fanden heraus, dass Schüler, die Texte auf gedruckten Seiten lasen, signifikant besser bei dem anschließenden Leseverständnistest abschnitten, als jene, welche dieselben Texte digital lasen. Die Wissenschaftler führen gleich mehrere Gründe für dieses Ergebnis an und berufen sich dafür unter anderem auf andere Studien.

Verstehen durch Fühlen

Sie weisen zum Beispiel darauf hin, dass eine gute räumliche sowie mentale Repräsentation des physischen Layouts eines Textes erwiesenermaßen das Verständnis fördert. Personen also, die sich besser an die Reihenfolge der Informationen aus einem Text erinnern, verstehen ihn auch besser. Dieser Effekt sei beim Lesen eines physisch greifbaren Textes wesentlich höher. Neben der visuellen Wahrnehmung helfe hierbei vor allem auch die taktile, eine gute mentale Repräsentation des Textes zu erzeugen.

Photo by João Silas on Unsplash
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Mit anderen Worten: Wir bekommen während des Aufschlagens eines klassischen Buches oder einer Zeitung schnell ein Gefühl dafür, wie viel Text uns erwartet. Während des Lesens selbst wiederum fühlen wir ihn mit unseren Fingern, insbesondere beim Umblättern. Dies alles hilft dabei, uns Textstellen besser einzuprägen und Informationen mit einer bestimmten Stelle aus dem Buch oder einem Artikel zu assoziieren. Und genau diese Effekte tragen dazu bei – das hat die Studie bewiesen – dass der gesamte Text als solcher umfassender verstanden wird.

E-Reading wiederum mache es dem Gehirn schwer, sich diese mentalen Karten des Textes zu erstellen. Die Wahrnehmung beschränke sich dabei üblicherweise auf eine Seite – egal wie viel Text bereits gelesen wurde. So gelingt es uns nicht, die gesamte Struktur des Textes gegenwärtig zu halten; wir verlieren schneller den Überblick und können uns weniger Sachen merken.

Außerdem verweisen die Forscher auf eine Studie, die gezeigt hat, dass das Scrollen beim Lesen eines Textes, zum Beispiel auf einen Desktop, das Leseverständnis ebenfalls negativ beeinflusst. Denn der ohnehin physisch wenig bis gar nicht wahrnehmbare Text werde dadurch weiter in seiner Gänze destabilisiert.

Forschungsinitiative E-READ veröffentlicht wichtige Erkenntnisse

Die Ergebnisse der von den norwegischen Wissenschaftlern durchgeführten Untersuchung sind nach wie vor aktuell – vielleicht sogar aktueller denn je: Im Jahr 2014 hat sich die europäische Forschungsinitiative Evolution of Reading in the Age of Digitasation, kurz: E-READ, zusammengeschlossen. Rund 200 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungsbereichen, wie zum Beispiel der Neurobiologie, Informatik, Philosophie und Pädagogik, haben es sich zum Ziel gemacht, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lesepraxis zu erforschen.

Die wichtigsten Erkenntnisse hat E-READ dieses Jahr mit der sogenannten Stavanger-Erklärung, benannt nach dem Ort der Zusammenkunft im norwegischen Stavanger, zusammengefasst. Dazu zählt der Nachweis, dass die Unterlegenheit des Bildschirms im Vergleich zu bedruckten Seiten stetig weiter zunimmt. Das gelte für alle Altersgruppen gleichermaßen. Das heißt also auch, dass wir zwar mit digitaler Technik immer vertrauter werden, aber unser Verständnis der Texte, die wir auf Displays lesen, nicht im selben Maße besser wird.

Schüler und Studenten sind mit bedruckten Seiten besser beraten
Photo by Russ Ward on Unsplash
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Entwarnung gibt es zumindest hinsichtlich des Lesens von narrativen Texten. Wer also einen Roman auf einem E-Reader liest, dürfte keine nennenswerten Verständniseinbußen zu befürchten haben. Bei Sachtexten sei das allerdings nicht der Fall. Gerade längere Informationstexte würden besser verstanden, wenn sie auf bedrucktem Papier gelesen werden. E-READ betont aber zugleich, dass gerade bei digitalen Texten die Möglichkeit besteht, die Textpräsentation individuell anzupassen. Ein auf den einzelnen Leser zugeschnittenes Layout könne so das Leseverständnis beim E-Reading merklich erhöhen und die Motivation steigern.

Angesichts dieser Erkenntnisse ist es beispielsweise besonders für Schüler oder Studenten entscheidend, längere Sachtexte in gedruckter Form durchzuarbeiten, um für eine Klausur bestens vorbereitet zu sein. Die Chance, so mehr zu verstehen und sich merken zu können, ist dabei wesentlich höher. Wer aber im Zug Zeitung lesen möchte, kann das selbstverständlich weiterhin mit einem Tablet machen. So ist es zumindest handlicher – und glücklicherweise wird einen der Sitznachbar auch nicht anschließend über das Gelesene abfragen.


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